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New Work Medizin Online Kongress 2025 - ReThink Hospital

Am 07. und 08. Februar 2025 organisierte der Verein New Work Medizin die achte Veranstaltung rund um das Thema New Work in der Medizin – dieses Jahr wieder ein Online-Live-Kongress. Und zum fünften Mal waren wir dabei.

Das Dilemma zwischen der tiefen Motivation, mit der Ärzte und Pflegekräfte einstmals in ihren Beruf starteten, und der Diskrepanz zum gelebten Alltag in den medizinischen Einrichtungen ist die Motivation der Organisatoren, dranzubleiben und die Akteure zu vernetzen.


Fazit

(für die Eiligen 😉)

Seit ca. 10 Jahren arbeiten wir als Anstifter aktiv daran, Methoden aus dem New Work Werkzeugkoffer  in der Medizin zu verankern. Inzwischen sind gute und wichtige Pioniere dazu gekommen. Das macht es leichter.
Frederic Laloux schreibt in „Reinventing Organizations“: eine solche Umstellung muss vom Vorstand und Eigentümer getragen werden, sonst tun sich die Pioniere schwer. Es ist möglich (siehe Beispiel: Oberschwabenklinik), bedeutet aber für die Pioniere an den Grenzflächen zu den alten Strukturen sehr viel Vermittlungsarbeit.

Andreas Artlich ist überzeugt, dass Soziokratie Frauen fördert. Frauen haben keine Platzhirschmentalität. In New Work-Strukturen haben Platzhirsche nicht mehr das letzte Wort, so können sich Frauen besser mit ihren Potenzialen einbringen.

Mit diesem Kongress wurde sichtbar: es werden mehr Pioniere und es funktioniert auch in deutschen Kliniken. Traut Euch, auch in Euren Einrichtungen, die Bedingungen zu verändern! Die Politik wird die notwendige Hilfe nur sehr langsam bringen.

Die Berichte aus der Praxis zeigen auch: die Einrichtungen, die vorangegangen sind, haben keine Personalnot mehr.

Die Vorträge des Kongresses wurden aufgezeichnet und sind auch noch im Nachgang abrufbar: www.newworkmedizin.de.


Die unabdingbare Notwendigkeit einer Veränderung

Die Organisatoren starteten mit einem Stimmungsbild:
Warum bist Du in der Medizin?


Wie sieht Dein Alltag aus: 

 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat festgestellt, dass bei den Ärzten und Pflegekräften 30-40% administrative Aufgaben liegen, bei Assistenzärzten sind es punktuell bis 70%.
Es geht die Perspektive auf den Patienten verloren.


Wie oft erlebt Ihr, dass wirtschaftliche Entscheidungen über patientenzentrierte Entscheidungen gestellt werden?

Ärzte und Pflegekräfte erleben in ihrem Berufsalltag eine extreme Diskrepanz zwischen der eigenen intrinsischen Motivation und dem, was sie in der Praxis leben können. Sie werden ihrer eigenen inneren Anforderung an ihren Beruf nicht gerecht und erleben damit einen tiefen Wertekonflikt.
Der allgegenwärtige Personalmangel wird auf den Verbleibenden ausgetragen.
Der Marburger Bund erfasst in seiner Mitgliederbefragung MB 2024, dass sich 49% der Ärzte ständig überlastet fühlen, 11% gehen ständig über die eigenen Grenzen. Bei im Durchschnitt (!!!) 49 Stunden Wochenarbeitszeit fehlt die Zeit zur Regenration. 28 % der Ärzte überlegen sich, ihre Tätigkeit in der Patientenversorgung ganz aufzugeben. Das ist enorm relevant für den Fachkräftemangel.

Als größtes Problem wird oft die fehlende Wertschätzung gesehen. Gerade diese sollte eigentlich einfach sein und jenseits von wirtschaftlichen Zwängen. Hier sind mit der Schulung von Führungskräften am schnellsten Veränderungen möglich. Auch diese müssen in ihrer Kraft sein.

 


Wie geht es anders?

Solange sich der Klinikalltag nicht ändert, bleiben die Leute nicht und die Probleme werden sich weiter verschärfen.
Veränderungen sind möglich mit Menschen, die Lust auf die Veränderung haben, auch wenn Ressourcen knapp sind.
Es muss gelingen, die Führungskräfte zu überzeugen, dass es ihnen nutzt, die Verantwortung abzugeben. Gerade weil Führungskräfte in der Medizin gleichzeitig auch am Patienten tätig sind, entlastet sie eine verteilte Verantwortung.

Innovation braucht Entscheidungskompetenz. Das Problem ist, gerade junge Mitarbeiter sind oft nicht in Positionen, die Innovationsideen zulassen. Innovationen werden „abtrainiert“, Ideen werden irgendwann nicht mehr genannt, weil die Menschen die Erfahrung machen, dass sie nicht gehört werden.  

Medizinischen Einrichtungen sind hochkomplex und die Rahmenbedingungen verändern sich häufig. In komplexen Systemen können Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht auf die Zukunft übertragen werden. Wir brauchen die Kreativität der Vielen und Strukturen, die es ermöglichen, dass sich diese entfalten kann.

Bemerkenswert fand ich die Aussage: „Im Krankenhaus hat jeder grade Schmerz“. Die „Oben“ spüren den Schmerz der „Unteren“ nicht und umgekehrt. Lineare Hierarchien erlauben sehr häufig keine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Dr. Katja Vonhoff, Leiterin des Robert Bosch Zentrums für Innovationen im Gesundheitswesen, nennt Motivationsfaktoren für Mitarbeiter, dass sie gern zur Arbeit kommen:

  • Kommunikation auf Augenhöhe
  • Verbundenheit im Team, gemeinsame Ziele
  • Gestaltungsspielraum, Selbstwirksamkeit
  • Menschen wollen sich entfalten, wollen ihr Potenzial entwickeln

Geld ist für die meisten Menschen im Krankenhaus kein Motivationsfaktor.

 


Leuchtturmprojekte - ermutigende Beispiele aus der Praxis

Teamboards am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Eckard Remlich berichtet von einem internen Change-Management-Team mit 16 Mitarbeitern.

Sie haben auf den Stationen Teamboards eingeführt und moderieren das als Change-Management-Team. Für die Stationen bedeuten die Teams 10 min Zeitinvest pro Tag. Ziel ist, die interdisziplinäre Kommunikation und Zusammenarbeit zu verbessern.
Sie haben zwei 2 Kulturanalysen gemacht, um zu verstehen, was die Mitarbeiter denken und welche Probleme diese sehen.

Teamboard

  • Die Teams auf der Station treffen sich in einem strukturierten Austauschprozess; immer interdisziplinär, physisch vor Ort vor einem Whiteboard.
  • Sie stellen Fragen wie: „Was brauchst Du?“, „Was hast Du geschafft?“
  • Ziel ist, dass alle, die grade auf Station sind, mitwirken. Das gelingt nicht immer.
  • Verändert hat sich die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen.
  • Probleme können angesprochen werden, das bringt den Mitarbeitern das Gefühl der Selbstwirksamkeit und erhöht die Arbeitszufriedenheit.

Hospital at Home Klinik Arlesheim

Es berichtet Linn Thorsteinsen von der Klinik Arlesheim.

Das Konzept des Hospital at Home gibt es in England, Spanien und seit 3 Jahren auch in der Schweiz. Ziel ist, Patienten, die eigentlich engmaschig überwacht werden müssten, aber keinesfalls in die Klinik wollen, zu Hause zu betreuen.
In Arlesheim kam die Idee für das Projekt mit der Pandemie. Die Menschen hatten Angst, ins Spital zu kommen.
Projektstart war 2021. Nach Konzepterstellung und intensiven Vorbereitungen kam der erste Patient im Januar 2023. Seit Juni 2023 ist Hospital at Home eine offizielle Abteilung der Klinik Arlesheim.
Das Team besteht aus 14 Personen: 8 Pflegekräfte, 2 Assistenzärzte, 3 Oberärzte und eine Unterstützung für administrative Aufgaben.

Sie haben ihr Team als selbstgeführtes Team organisiert. Es gibt verschiedene Rollen, eine flache Hierarchie. Jeder Mitarbeiter hat eine oder mehrere Rollen. Sie dürfen selbst Entscheidungen treffen, die Hüte sind austauschbar, es gibt keinen „König“.
In Teamtagen haben sie ihre Rollen bestimmt, die Meetingstruktur geübt, ihren Purpose bestimmen. Es gibt viele intensive und schöne Momente mit dem Team, sie wachsen als Team zusammen.

Bis Oktober 2024 wurden 290 Patienten in 15 verschiedenen Diagnosegruppen behandelt. Das sind vorwiegend geriatrische Patienten („Lieber sterbe ich, als dass ich ins Krankenhaus gehe …“). Deutlich seltener gibt es Delirerscheinungen, Stürze oder nosokomiale Infekte. Das Team erhält viele positive Rückmeldungen von Patienten und ihren Angehörigen. 


In der Schweiz erhält das Konzept eine große Nachfrage, weitere Spitäler sind interessiert. Es schafft attraktive Arbeitsformen für Menschen in Gesundheitsberufen.


Soziokratische Kreisorganisation an der Oberschwabenklinik

Dr. Andreas Artlich, leitet die Kinder- und Jugendklinik seit 23 Jahren. Aus eigenen schmerzhaften Erfahrungen als Chefarzt wollte er ein neues Betriebssystem für ein Krankenhaus schaffen.

In der Kinder- und Jugendklinik arbeitet ein Team aus 250 Fachkräften aus Medizin und Pflege. Es werden pro Jahr ca. 4.000 stationäre Patienten behandelt, ca. 4.000 Patienten in den Spezialambulanzen und ca. 10.000 ambulante Notfälle.

2018 hat er mit den Vorbereitungen begonnen. 2018/2019 wurden die Prinzipien eingeführt und die Mitarbeiter geschult. Seit 2019 leben sie sie Prinzipien in der Praxis.

Andreas hat die Elemente der Soziokratie in seiner Klinik eingeführt. Das bedeutet:

  • Teams werden als Kreise organisiert. Die Kreise entscheiden autonom.
  • Entscheidungen werden im Soziokratischen Konsent gefällt, das bedeutet, Entscheidungen werden so weit bearbeitet, bis jeder mitgehen kann. Mit einer guten Kommunikation kann das sehr schnell gehen.
  • Die Kreise sind mit doppelten Delegierten miteinander verbunden.
  • Menschen, die Funktionen übernehmen sollen, werden in einem offenen Diskurs im Konsent gewählt (offene Wahl).

Die Beteiligung der Mitarbeiter hat sich deutlich erhöht. Mitarbeiter können ihre Potenziale entfalten, sich entwickeln und die Organisation entwickeln. Sie verstehen sich als lernende Organisation. Vertrauen und Fairness, die Effizienz und das Zusammenspiel von Team und Gesamtorganisation haben sich deutlich verbessert.
Ihre Bewerbersituation hat sich enorm verbessert, sie haben in ihrer Klinik keine Personalnot mehr. Keiner will zurück.

Auf die Frage, wie lange so eine Umstellung dauert, antwortet Andreas: „Das ist eine Psychotherapie für die Organisation. Eine gute Psychotherapie dauert drei bis fünf Jahre, es braucht Geduld und kann nicht verordnet werden.“


„Meine Station“ im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau

Prof. Dr. Hubertus Schmitz-Winnenthal ist Chefarzt und verantwortlich für die chirurgische Klinik in Aschaffenburg.

 

Sein Ausgangspunkt war der Ressourcenmangel auf den Stationen, der sich zeigte in lückenhaften Dienstplänen oder Menschen, die nur zu 50% engagiert sind und vielen kurzfristigen Krankmeldungen.  

Das war für ihn die Startbasis in eine selbstorganisierte Station. Er hat sich selbst in externen Seminaren tief in die Methoden eingearbeitet. Die nächste Frage war, wer in der Organisation mit den Methoden arbeiten will. Sie haben eine neue Modellstation in Alzenau aufgebaut. In Workshops haben die Menschen die Methoden kennengelernt und konnten sich fragen, ob sie damit arbeiten wollen. In Teamfindungsworkshop stiegen die Menschen tiefer ein: Methoden, Meetingformate – die Teams formten sich. Es gab viel zu lernen. Angefangen von der gewaltfreien Kommunikation bis zur Holokratie und geteilter Verantwortung. Am 1.2.2022 wurde das Projekt gestartet. In Gourvernance Meetings wurden die Kreise und Rollen festgelegt, Feedbackmeetings halfen, die Prozesse immer wieder anzupassen, im Teamspace wird das Laufende besprochen.

Die Station hat auch den Behandlungspfad für die Patienten verändern. Sie lernen frühzeitig eigenständiger zu sein, nach der OP richtig aus dem Bett aufzustehen, im Bistro zu essen, um schnell wieder mobil zu werden.

Das Projekt wurde von der Forschung begleitet.

Schlüsselfaktoren für das Gelingen:

  • Unterstützung von Geschäftsführung und Betriebsrat, diese sind auch in die Workshops gegangen, um es kennenzulernen
  • Zeit; viele mutige Menschen, das Projekt hat z.T. auch ihre Lebensläufe erstaunlich verändert, Menschen sind umgezogen, um hier zu arbeiten …
  • In der Radikalität geht das nur mit Menschen, die sagen: „Ich stehe dafür!“

Was hat sich im Alltag verändert

  • Die klassischen Strukturen wurden aufgebrochen, es gibt keine Stationsleitung mehr, dafür stationäre und prästationäre Kreise.
  • Es gibt einen selbstorganisierten Dienstplan.
  • Patienten werden schneller mobil.
  • Das Visitenformat hat sich verändert, ist weiter im Fluss.
  • Sie treffen Entscheidungen gemeinsam, selbst ein Pflegehelfer kann Veränderungen anstoßen, sie haben „JA-ABER“ abgeschafft und probieren Dinge schneller aus.

Niels-Stensen Klinik Marienhospital Osnabrück

Dr. Oliver Motschler ist Stellvertretender Chefarzt, Leiter der Endoskopie-Abteilung.

Oliver beginnt mit dem Bild: Menschen sitzen frustriert in einem Boot und warten auf Wind. Der Wind kann Geld und Personal sein, Hilfe aus der Politik... Doch der Wind kommt nicht.
Die Frage ist, was können Mitarbeiter tun – wo sind eigene kleine Anker, die sie festhalten, nicht in die Veränderung gehen lassen.

Im Oktober 2022 kamen erste Ideen und die ersten Gespräche mit der Geschäftsführung. 2023 war ein intensives Jahr der Vorbereitung: Brainstormings im Lenkungsteam, erste Umsetzung in der Personalentwicklung, ein Gesundheitstag an der Klinik zum Thema, der Aufbau einer New Work Community. Anfang 2024 gab es grünes Licht von der Krankenhausleitung und ab Herbst konnten sie die ersten zwei Pilotprojekte in den Stationen starten. Führungskräfte wurden geschult und die New Work Community aufgebaut – ein Informationssystem für alle Mitarbeiter der Klinik. Alle zwei Wochen gibt es den New Work-Wednesday mit neuen Entwicklungsideen zu den einzelnen Projekten.

Für ihn ist ein Dreiklang wichtig:

  • Better me
  • Better we
  • Better Society

Bisherige Erfahrungen

  • Es dauert,
  • eine externe Qualifizierung ist hilfreich,
  • nicht auf die perfekte Lösung waren, anfangen und Fehler ansprechen und korrigieren
  • die Beteiligung aller Berufsgruppen ist wichtig (Ärzte, Pflege, Verwaltung)
  • Wichtigste Herausforderung: richtige Balance zwischen innerer Arbeit der Beteiligten und der Projektarbeit

Podiumsdiskussion mit allen Projekten

Die größte Herausforderung

  • Überhaupt anzufangen
  • Die Geschäftsleitung muss dahinterstehen -
  • die richtigen Leute finden und Teamfindungsprozesse
  • anerkennen, dass man Arbeit zusätzlich investieren muss

Kann man ein bestehendes System verändern?

  • Man braucht die Menschen aus der Organisation mit dem unbedingten Willen, dass sie das wollen. 
  • Als Antrieb ist es wichtig, das Wofür herauszuarbeiten.
  • fast alle Menschen haben Sehnsucht nach Sinnorientierung, das erleichtert die Transformation

Wie können Führungskräfte loslassen und wie befähige ich Menschen, die Verantwortung zu tragen

  • Führungskräften die Angst nehmen, dass sie die Zügel abgeben, zeigen, dass sie mehr Freiheit gewinnen
  • jeder kann Verantwortung tragen; egal ob Arzt oder Pflegekraft; viele haben gute Ideen
  • wenn Menschen entscheiden, übernehmen sie Verantwortung

Wie überzeugt man alle anderen: Betriebsrat, Klinikführung ...

  • Die Probleme aufzeigen und zeigen, dass bisherige Lösungen nicht den Erfolg brachten
  • Dringlichkeit aufzeigen: wir verlieren Menschen, weil es so ist, wie es ist;
  • die Klinikleitung / Betriebsrat mit in die Workshops nehmen

Vision Gesundheit und New Work

Wir sind überzeugt, dass die beschriebenen Strukturen eine wesentliche Antwort sind auf die Herausforderungen im Gesundheitswesen. Die Ausgestaltungen mögen für jede Organisation individuell sein, doch es geht um Strukturen, die das Potenzial der Vielen in der Medizin nutzen.

Mit unseren fast 20jährigen Erfahrungen begleiten wir Organisationen gern auf diesem Weg. Und fast immer beginnt dieser Weg mit Visionären, mit Menschen, die sich nicht mehr abfinden wollen mit dem, was ist. Verändere, was Dich stört! Sprich uns gerne an.


Noch ganz geflasht vom Kongress geschrieben von Anke  - Anstifterin für Häuser des Heilens

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