Gesundheitssolidargemeinschaften gibt es in Europa seit Ende 1987 – die Artabana-Bewegung - in der Schweiz. Die erste in Deutschland gegründete Solidargemeinschaft ist 1997 die Samariter
(www.samarita.de). Es entstehen weitere berufsspezifische Solidargemeinschaften für Pfarrer, Feuerwehrleute und Polizisten. Seit 1999 gibt es Artabana auch in Deutschland. Solidago und der
Radolfzell e.V. sind Ausgründungen von Artabana.
Insgesamt sind in Deutschland 20.000 Menschen über Gesundheitssolidargemeinschaften abgesichert – manche ausschließlich, manche in Ergänzung zur Absicherung bei einer gesetzlichen
Krankenkasse.
Ende September 2024 haben Menschlich Wirtschaften eG und Vision Gesundheit die Vertreter der berufsunabhängigen Solidargemeinschaften zu einem gemeinsamen Onlineabend eingeladen und Zusagen
erhalten von Artabana, der Solidago und von Radolfzell e.V. In diesem Blogbeitrag lassen wir Euch an dieser Veranstaltung teilhaben. Wir stellen Euch vor, wie sie arbeiten. Ihr versteht, was ihre
Ziele sind und wo sie sich ggf. auch unterscheiden.
Fazit
(für die Eiligen 😉)
Die vorgestellten Solidargemeinschaften haben viele Gemeinsamkeiten und unterscheiden sich in einigen Punkten. Doch alle sind ein wichtiger Teil eines neuen
Gesundheitswesens.
Sie haben in all den Jahren gezeigt, dass sie funktionieren, auch wenn sie naturgemäß weiterhin lernen und wachsen. Sie sind eine Antwort auf ein krankes Gesundheitssystem, weil ihre
Mitglieder ihre verfügbaren Mittel für die Gesundheitsvorsorge statt in die Verwaltung von Erkrankungen in Gesundheit investieren.
Es ist Zeit, in der Finanzierung von Gesundheitseinrichtung neue Wege zu gehen. Wie der Patient seine verfügbaren Mittel einsetzt, ist ein erster Baustein dafür.
Gemeinsamkeiten der Solidargemeinschaften
Menschen finden sich in kleinen Gemeinschaften von 5 bis 20 Menschen zusammen und versprechen sich, im Krankheitsfall gegenseitig solidarisch zu sein. Die Gruppenmitglieder kennen sich, treffen
sich regelmäßig – meist monatlich. Begegnung ist das Herzstück einer Solidargemeinschaft, Nähe ist wichtig damit sich die Menschen in der Gemeinschaft mit ihrer persönlichen
Situation und ihren Bedürfnissen kennen.
Mehrere lokale Gemeinschaften gliedern sich in Regionen, es gibt einen bundesweiten Dachverband und bei Artabana ein Netzwerk der Regionen.
Beim Arzt oder Therapeuten sind Mitglieder von Solidargemeinschaften Selbstzahler. Sie bekommen eine Rechnung. Diese tragen sie selbst, wenn das möglich ist, oder das Mitglied bittet um Hilfe für
den Teil, der seine Möglichkeiten übersteigt. Diesen Teil gleicht die lokale Gemeinschaft in Form einer freiwilligen Schenkung aus. Bei schweren Erkrankungen übersteigt die Rechnungshöhe manchmal
auch das Vermögen der Gemeinschaften. Dann gehen Hilfegesuche an die Region, die Nachbarregionen oder das ganze Netzwerk. Das kann auch sehr schnell gehen. Die anwesenden Solidargemeinschaften
sind geübt und haben Erfahrungen auch in der Bewältigung schwerer Fälle. Für Zahlungen, die schnell verfügbar sein müssen, z.B. wenn Kliniken einen Vorschuss für eine Behandlung haben wollen,
gibt es einen Feuerwehrtopf auf Bundesebene, der zinslos das Geld als Leihgabe vorschießt.
Keine der anwesenden Gesundheits-Solidargemeinschaften hat einen festen Leistungskatalog. Die Mitglieder verbindet die Suche nach ganzheitlichen und ursächlichen Behandlungen.
Gesundheitssolidargemeinschaften haben keine bezahlten Ämter. Die komplette Verwaltung wird ehrenamtlich geleistet. Das braucht das Engagement der Mitglieder und eröffnet diesen
Gestaltungsmöglichkeiten.
Eine Gesundheits-Solidargemeinschaft versteht sich nicht als Krankenkasse, sie ist weit mehr.
Das betrifft nicht nur die Art der Hilfeleistungen, die oft mehr ist als die finanzielle Hilfe.
Es betrifft auch, wie die Gemeinschaften entlang des Leitbildes Ihr Zusammenwirken gestalten. Es braucht die Bereitschaft, sich auf andere Menschen einzulassen und die persönliche
Auseinandersetzung mit aufkommenden Konflikten. Es braucht die Bereitschaft für persönliche Entwicklung. Wenn Du überlegst, Mitglied einer Solidargemeinschaft zu werden, frage Dich: bin ich
bereit, Menschen zu vertrauen anstatt einer Krankenkasse.
Es ist manchmal herausfordernd mit dem Arzt oder Therapeuten auf Augenhöhe einen Preis auszuhandeln, mit dem es Euch beiden gut geht: Dir und dem Behandler.
Manchmal ist es auch gar nicht so einfach, in der Gemeinschaft um Hilfe zu bitten.
Wer kann Mitglied werden und wie
Prinzipiell kann jeder Mitglied einer Solidargemeinschaft werden, der sich mit ihren Statuten und dem Leitbild der Gemeinschaft identifiziert.
Als vollständige Absicherung sind Solidargemeinschaften möglich für Menschen, die auch eine private Krankenkasse wählen könnten: Angestellte über der Beitragsbemessungsgrenze (2024 jährlich
62.100 Euro beziehungsweise 5.175 Euro im Monat), Selbständige, Beamte und Rentner.
Am besten suchst Du Dir eine lokale Gemeinschaft. Du kannst als Gast an den Gruppentreffen teilnehmen. Schau Dir auch gern mehrere Gemeinschaften in Deinem Umfeld an, denn überall wird das
Gemeinschaftsleben ein wenig anders sein, auch wenn sich alle Gemeinschaften an ihrem Leitbild orientieren.
Nimm Dir Zeit, es braucht Zeit der Annäherung, es muss menschlich stimmen, bis Du und auch die Gemeinschaft das Gefühl haben, dass Ihr zueinander passt. Typischerweise entscheiden die Gruppen im
Konsens über eine Aufnahme.
Willst Du eine neue Gemeinschaft gründen, solltest Du vorher einige Monate bei einer vorhandenen Gemeinschaft das Solidarleben kennengerlernt haben. Du brauchst mindestens 5 Mitglieder und eine
Patengemeinschaft, die Euren Gründungsprozess und die ersten Jahre nach der Gründung begleitet. Sie stellt den Aufnahmeantrag für die neue Gemeinschaft und springt am Anfang auch finanziell ein,
so lange die neue Gemeinschaft noch nicht stark genug ist.
Die staatliche Anerkennung
2021 hat der Gesetzgeber mit dem § 176 SGB V bestehenden Solidargemeinschaften die Möglichkeit eingeräumt, die gesetzliche Anerkennung zu beantragen. Damit ist verbunden, dass diese
Solidargemeinschaften den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse der Art nach, der Höhe nach und dem Umfang nach garantieren.
Mitglieder können dann leichter die bestehende Krankenkasse verlassen oder es ist einfach möglich, wieder zurück in eine Krankenkasse zu wechseln. Sozialämter (im Fall von Bürgergeld) und der
Träger der Rentenversicherung zahlen Zuschüsse zu den Beiträgen. Die Beiträge können steuerlich als Vorsorge geltend gemacht werden.
Die Samariter und Solidago haben die staatliche Anerkennung bereits, die Mehrheit der Artabana-Mitglieder will sie nicht und Radolfzell e.V. strebt sie an.
Artabana
Artabana hat in Deutschland 3000 Mitglieder in 270 Gemeinschaften. Es gibt nach wie vor Gruppen im Ursprungsland von Artabana – in der Schweiz, es entstehen Gruppen in den Niederlanden, in
Portugal und im außereuropäischen Ausland.
Das Artabana-Leben wird unterschiedlich gelebt. Es gibt eine große Vielfalt in den Gruppen.
Der Mitgliedbeitrag wird nach Selbsteinschätzung bestimmt: welcher Bedarf hast Du im Jahr und was kannst Du der Gemeinschaft geben. Kannst Du vielleicht mit Deinem Beitrag Menschen unterstützen,
die ggf. ein geringeres Einkommen haben. Jedes Mitglied ist ein Jahr lang an sein Beitragsversprechen gegenüber der Gemeinschaft gebunden.
Selbstverantwortung funktioniert nicht, wenn Du eine umfangreiche Zahnsanierung vor Dir hast und erwartest, dass Du diese mit 100 Euro im Monat finanzieren kannst, wenn Du noch 10.000 Euro auf
der hohen Kante hast.
Es gibt KEINE Leistungsverpflichtung. Alle Leistungen sind freiwillige Schenkungen aus der Gemeinschaft, der Region oder bundesweit.
Ein Drittel der Artabana-Mitglieder sind noch Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse – z.B. weil sie pflichtversichert sind. Sie schätzen den Zusammenhalt in den Gemeinschaften und die
Begegnung. Viele ganzheitlichen Leistungen werden von den gesetzlichen Kassen nicht erstattet. Diesen Teil finanzieren diese Mitglieder dann über die Solidargemeinschaft.
Artabana will die gesetzliche Anerkennung nicht, weil sie damit das Prinzip der freiwilligen Schenkung aufgeben müsste (siehe Abschnitt staatliche Anerkennung).
Kontaktdaten:
www.artabana.de,
Hier findet sich ein Verzeichnis aller regionalen Gemeinschaften.
Artabana Radolfzell e.V.
Artabana als Gesamtgemeinschaft lehnt die staatliche Anerkennung ab (siehe oben). Damit ist es für Versicherte manchmal schwierig, die bestehende Krankenkasse zu verlassen.
Da nur länger bestehende Solidargemeinschaften die Anerkennung erhalten können (“Bestandschutz”) und es in Artabana Deutschland eV. dazu keinen Konsens gab, streben nun die daran Interessierten
für die lokale Solidargemeinschaft ARTABANA Radolfzell e.V. den Bestandschutz an. Diese soll dadurch zum Gefäss werden für alle Artabana-Mitglieder, die aus unterschiedlichsten Gründen
(z.B. problemloser Wechsel aus und zu Krankenkassen) eine anerkannte Solidargemeinschaft möchten oder benötigen.
Mitglieder bei Radolfzell e.V. sind gleichzeitig Mitglieder einer Artabana-Gemeinschaft.
Kontaktdaten:
bestandschutz@artabana.de
SOLIDAGO
Bundesverband – Solidargemeinschaft für Gesundheit e.V.
Solidago wurde 2013 gegründet und hat derzeit 700 Mitglieder im gesamten Bundesgebiet, stetig wachsend. Wie bei Artabana auch, sind die Mitglieder in lokalen Gemeinschaften und Regionen
organisiert. JEDES Mitglied ist gleichzeitig auch im Bundesverband.
Schon mit seiner Gründung war die staatliche Anerkennung Ziel von Solidago. Deshalb haben sie, als es möglich war, die Anerkennung beantragt und am 22.02.2022 mit dem Anerkennungsschreiben des
Bundesministeriums der Gesundheit erhalten.
Solidago sichert deshalb den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse zu. Alle Leistungen, die darüber hinausgehen, werden von den Gemeinschaften als freiwillige Zahlungen geregelt.
Es gibt einen Mindestbeitrag, ansonsten zahlen die Mitglieder 10% vom Gehalt (ab 55 Jahren mehr). Menschen, die in gesetzlichen Krankenkassen abgesichert sind, zahlen weniger. Kinder werden
mitgetragen
Es gibt ein Kuratorium, das die Geldflüsse überwacht, Treuhänder können schnell reagieren.
Kontaktdaten:
https://solidago-bund.de,
Übersicht der lokalen
Gemeinschaften:
geschaeftsstelle@solidago-bund.de
Von Herzen geschrieben von Anke - Anstifterin für Häuser des Heilens und seit mehr als 20 Jahren Artabana-Mitglied
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Rainer Müler (Mittwoch, 16 Oktober 2024 10:51)
Hallo zusammen, ich bin 72 Jahre an privat bei der Universa versichert und als Heilpraktiker tätig. Gibt es für mich die Möglichkeit in eine der Solidargemeinschaft ieinzutreten?
Liebe Grüße, Rainer Müller
Anke (Mittwoch, 16 Oktober 2024 11:21)
Prinzipiell ist Dein Alter kein Hinderungsgrund, in eine Solidargemeinschaft einzutreten. Es ist Sache der Gemeinschaft, ob Ihr zusammenpasst und das ist eher ein menschliches Thema.
Du hast viele Jahre in Deine private Krankenkasse eingezahlt. Vielleicht kannst Du mit ihr einen Basistarif vereinbaren - sozusagen als Großschadenabsicherung. Dann verlierst Du das Eingezahlte nicht und "stehst dann auf zwei Beinen".
Herzliche Grüße
Anke